Das schwedische Duo Gelland [1]
von Stefan Drees
«Wo
man sich auch hinwendet, ist es schwer, die Gattung Violinduo als
eine vollwertige Besetzung begreiflich zu machen, da muss es schon
ein Streichquartett oder zumindest ein Trio sein.» Mit diesen Worten
formuliert der Geiger Martin Gelland eine treffende Bestandsaufnahme
der aktuellen Situation: Das Duett für zwei Violinen hat während
der letzten 300 Jahre eine wechselvolle Geschichte erlebt, die sich
ganz offenbar auch in der heutigen Missachtung der Gattung
niederschlägt – haftet ihr doch trotz der Existenz zahlreicher
hochwertiger Kompositionen für den Konzertsaal vor allem seit der
Enstehung der Lehrwerke Leopold Mozarts oder Louis Spohrs jene Aura
des pädagogischen Anspruchs an, die ihm bis hin zu den bedeutenden
Werken Béla Bartóks oder Luciano Berios von ihren Schöpfern immer
wieder zugewiesen wurde. Eher als unvollständiges Streichquartett
oder fragmentierter Klangkörper denn als anspruchsvolle Art der
Ausübung von Kammermusik bewertet, wird die Besetzung mit zwei
Violinen daher heute kaum von der Öffentlichkeit
wahrgenommen.
Dieser weit verbreiteten Ignoranz setzt das
schwedische Ehepaar Cecilia und Martin Gelland seinen künstlerisch
höchst engagierten und vorurteilsfreien Umgang mit der Gattung
entgegen. Das Repertoire der Gellands ist eindrucksvoll: Die
umfangreiche Liste auf ihrer Website (http://www.duogelland.com/)
enthält neben anspruchsvollen Standardwerken des 20. Jahrhunderts
auch viele heute nur mehr wenig bekannte Kompositionen früherer
Jahrhunderte, vor allem aber zahlreiche zeitgenössische Werke
insbesondere schwedischer Komponisten. Aufgrund dieser
Schwerpunktsetzung verwundert es nicht, dass bislang rund 70 Werke
eigens für das Duo komponiert wurden, und naturgemäss spielt daher
die enge Zusammenarbeit mit Komponisten bei der künstlerischen
Arbeit des Ensembles eine zentrale Rolle. Ein Beispiel hierfür ist
etwa das aktuelle, mit dem Komponisten Ole Lützow-Holm durchgeführte
Projekt, in dessen Mittelpunkt die Erarbeitung einer szenischen
Umsetzung von dessen Komposition Da sotto terra steht, wobei den
Musikern die Aufgabe zukommt, das ursprünglich solistische
Violinwerk in eine Version für zwei Instrumente umzugestalten und
dabei räumliche Darstellungsmodi einzubeziehen; daneben arbeiten die
Gellands zurzeit auch intensiv mit den deutschen Komponisten Bernd
Franke und Alexander Keuk zusammen.
Zu den bisherigen
CD-Produktionen des Duos gehört eine 2000 veröffentlichte
Referenzeinspielung der sieben Sonaten für zwei Violinen (1951) von
Allan Pettersson (BIS-CD-1028), deren radikal expressive Diktion die
Musiker, für den Hörer äusserst fesselnd, mit einem eminenten
Gestaltungsvermögen herauszuarbeiten wissen. Im Jahre 2003 erschien
unter dem Titel intense as
your gaze in the rain – violin duos, vol. 1 eine
gelungene Zusammenstellung mit Violinduetten von Erik Förare, Werner
Wolf Glaser, Anders Hultqvist und Gunnar Bucht (nosdag records CD
075): Gerade hier zeigt sich, mit welch hohem Differenzierungsgrad
die Gellands eine Reihe von Werken sehr unterschiedlicher
kompositorischer und ästhetischer Provenienz präsentieren können,
ohne dass man je die aus zwei Violinen bestehende Besetzung als
Mangel empfindet. Das technisch hervorragende Spiel beider Musiker
zeichnet sich durch ein differenziertes Abtasten der jeweils
geforderten instrumentalen Möglichkeiten aus, ihr Vortrag ist
klangvoll und intensiv, mitunter auch leidenschaftlich oder
zurückhaltend, bleibt aber letztlich in jeder Situation bis in die
feinsten musikalischen Verästelungen hinein nuanchenreich in
Tongebung und Klanggestaltung.
Ganz im Zeichen der
künstlerischen Auseinandersetzung mit möglichst vielfältigen
Perspektiven der Musik für zwei Violinen stehen drei weitere
geplante CD-Veröffentlichungen des Ensembles: So sollen in Kürze
eine zweite CD mit Violinduos von Hâkan Larsson, Peter Schuback,
Ingvar Karhoff, Kerstin Jeppsson und Erik Förare sowie unter dem
Titel Swedish Miniatures
eine Produktion mit Werken aus drei
Jahrhunderten schwedischer Musikgeschichte von Johan Helmich Roman
bis Johan Samskog erscheinen. Darüber hinaus ist eine
Veröffentlichung mit mehreren Kompositionen Olof Lindgrens
vorgesehen, die auch das gemeinsam mit dem Dresdner Kammerchor unter
Hans Christoph Rademann aufgenommene Concerto
canto «Fallmer från fjällets fot» (2002)
für zwei Violinen und gemischten Chor beinhalten wird. Schließlich
plant das Ensemble eine CD mit zwei für das Duo Gelland komponierten
Doppelkonzerten aus der Feder von Håkan Larsson und Anders
Hultqvist.
Das Engagement von Cecilia und Martin Gelland geht
allerdings noch weit über die Interpretation zeitgenössischer Werke
und die mitunter sehr intensive Zusammenarbeit mit Komponisten
hinaus. Seit Gründung des Duos im Jahre 1994 setzen sich die Musiker
auch regelmässig dafür ein, ihre künstlerischen Aktivitäten an
Kinder und Jugendliche zu vermitteln. Im Mittelpunkt dieser
pädagogischen Ambitionen steht die unerschütterliche Überzeugung,
dass sich gerade die neue Musik wie keine andere als Medium der
Kommunikation eignet und dadurch die Kreativität fördern kann. Die
Beobachtung, dass Kinder aufmerksame Zuhörer sind, die ein
Hörerlebnis verbal umschreiben und darüber reflektieren können,
bildet die Basis für Workshops mit Schulklassen, in deren Zentrum
einerseits die Umsetzung von Hörerlebnissen in Bilder oder
Bewegungen steht, die aber andererseits auch die Schüler zur
Erfindung eigener musikalischer Verläufe auf Grundlage der gehörten
Klänge angeregen und sie damit zu einem besseren – und vor
allem aktiver gestalteten – Verständnis der aktuellen Musiksprache
führen wollen. All diese unterschiedlichen Facetten in der Arbeit
des Duo Gelland lassen sich im Grunde nicht voneinander isolieren:
Sie bilden vielmehr gleichwertige und eng miteinander verzahnte
Bestandteile eines umfassenden, sich auf vielen Ebenen
artikulierenden künstlerisch-pädagogischen
Vermittlungsbedürfnisses, mit dem das Ehepaar letztlich dazu
beiträgt, die Möglichkeiten und verborgenen Schönheiten einer
vielfach unterschätzten Kammermusikgattung wieder in das rechte
Licht zu rücken.
[1] Unter dem Titel Engagement im Dienste einer vernachlässigten Gattung abgedruckt in: Dissonanz Nr. 93, März 2006, S. 43-44. [Zurück]